Hallo Martin,
"Choleriker", bringt mich auf eine Idee (durchaus in Gedanken an Rudi Völler). Denn das klingt so nach Charakterfehler, den man unbedingt verstecken müsse.
Wer das versucht, der läuft dann gequält durch die Arbeit. Je selbstgezwungener der Chef, desto geringer seine Glaubwürdigkeit, desto größer aber die Angst der Mitarbeiter vor der Wucht des Vulkans, den der Chef nur mit Mühe in sich hält.
Dies Phänomen kann man auch anders interpretieren - und dann viel angenehmer für alle (bis auf die Psychotherapeuten, die eine lebenslange Einnahmequelle verlieren.)
_Wesenheiten soll man nicht über Gebühr vermehren (entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem) (Wilhelm von Ockham, um 1300-1349)
Gegen diese Regel hat verstoßen, wer die Beobachtung "dieser Chef brüllt seine Mitarbeiter unbeherrscht an!" interpretiert als: "Chef ist ein Choleriker".
Denn das ist er nicht. Denn wenn er am Abend in der Fitneß-Sauna sich von der Masseuse durchkneten läßt und völlig entspannt daliegt, dann wäre er ja zugleich auch ein Phlegmatiker. Und beide Identitäten widersprechen sich.
Diese Charakterkunde hat mit dem Hexenwahn gemeinsam: "Die ist eine Hexe!" stachelt das Dorf gegen das unschuldige Kräuterweiblein auf. Die Dorfbewohner gehen ihr aus dem Weg, kreuzen die Finger, tuscheln. Was immer sie sagt in ihrer vermeintlichen Unschuld, die anderen interpretieren es als Äußerungen einer Hexe. Was immer die arme Frau macht, um trotzdem mit den Dorfbewohnern zu reden, es wirkt unnormal - das Urteil ist bestätigt, Tortur und Scheiterhaufen nur noch eine Frage der Zeit.
Heutzutage könnte sie jeden Tag zum Therapeuten marschieren, so gering sein Einfluß auf die Dorfbewohner, so endlos wird er an der Therapie ihrer Geisteskrankheit "Ego-Schwäche" verdienen dürfen.
Das ist dasselbe wie
"Den Götzen macht nicht der Vergolder, sondern der Anbeter" Baltasar Gracian
...die Hexe macht nicht die Eule im Dachbalken, sondern der furchtsame Glaube der Dorfbewohner.
Das passiert auch dem, der als Choleriker verschrien ist.
Wie kommt er da raus? Aus dem Alltag: "Ich bin ein Choleriker. Ich traue mich nicht mehr zu meinen Mitarbeitern, ich habe Angst, ich könnte sie vertreiben."
Auskunft über die Mitarbeiter eingeholt: "Ja klar, unser Chef ist ein Choleriker. Insbesondere Montag morgens ist er unausstehlich. Aber das wettern wir ab, denn er ist ein Könner, und eigentich ein feiner Kerl."
Ergebnis: "Ach, meine Mitarbeiter sehen das gar nicht so schlimm wie mein Therapeut? Sie haben recht, wenn man das nicht als Cholerik sieht, sondern nur als Verhaltensweise... Natürlich bin ich engagiert, und je größer der Zeitverzug gegenüber der Restlaufzeit, desto nervöser werde ich, und wenn was schiefläuft, reagiere ich impulsiv...ich bin eben kein Philosoph, sondern ein Unternehmer, der hohe Risiken eingehen muß...ja, ich könnte meine Impulsivität auch anders nutzen...wissen sie was, es ist so heiß heute... Frau Gutergeist [mein Codename für die Sekretärin, die Frau hinter dem Manne], lassen sie doch mal für alle Speiseeis besorgen, ich teile das dann aus..."
Der Therapeut wird sicherlich höchst ärgerlich geschimpft haben auf den Dilettanten, der die Heilung seines Klienten unmöglich macht, aber der Unternehmer war's zufrieden...
Also, Martin, "Choleriker" ist schlimmstenfalls so schlimm, wie die jeweiligen Kollegen und Mitarbeiter darunter leiden - und damit die Resultate der leidenschaftlichen Person. Aber noch lange nicht so schlimm, wie die Sozialkompetenzträumer vom Gutmenschen ihn machen.
Ciao
Wolfgang Horn