Hi, Jürgen,
Danke für Deine Geduld...
: Hier halte ich mich mit einer Wertung bewusst zurück. Denn ihr Ziel haben sie sicher sehr gut erreicht, fragt sich nur, ob das Ziel wirklich das richtige war?
"Richtig" nach wessen Maßstäben? Die katholische Kirche hat Wunderbares erreicht, Wilhelm von Ockham schuf mit seiner Regel
_Von zwei Thesen, die dasselbe Phänomen hinreichend erklären, möge diejenige als eher wahr gelten, die mit weniger Unbekannten auskommt oder bei gleicher Anzahl Unbekannter schlichter ist.“ (Wilhelm von Ockham, um 1300-1349)
eine wichtige Voraussetzung für Aufklärung und naturwissenschaftliche Forschung.
Die nur halt gemacht hat vor uns selbst. Eigentlich müßte "die Psychologie" die Grundlagenwissenschaft für "die Pädagogik" sein, ähnlich wie "die Physik", spezielle Atomphysik mit dem Bohr'schen Atommodell, die Grundlage ist für die Chemie.
(Ich kenne aus ähnlichen Diskussionen den empörten Einwand von Pädagogen: "Aber die Pädagogik ist eine eigenständige Wissenschaft, die beweist ihre Thesen aus sich selbst heraus."
Aber was wäre mit der Chemie, wenn sie das Bohr'sche Atommodell ignoriert?
Aber während sich die Physiker sehr einig sind über ihr Periodensystem der Elemente, scheint in "der Psychologie" jede These richtig zu sein einschließlich ihrem Gegenteil. Es gibt ja nicht mal "die Psychologie", sondern unzählige verschiedene Schulen, die gemeinsam Wilhelm von Ockham ignorieren. Schon die ersten Begründer Freud, Adler, Reich und Jung haben sich gestritten und keinen Konsens finden können.
(Haben wir keinen Psychologen als QMB, der hier zur Klärung beitragen kann?)
„Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d.i. ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis sein soll, heißt Wissenschaft.“ (Immanuel Kant)
"Die Psychologie" verfehlt diesen Anspruch, es ist kein Ganzes zu sehen, sondern ein Haufen Theorien mit vielen Widersprüchen darin. Und diese Gebilde ist auch nicht nach Prinzipien geordnet, sondern nach Begründern ihrer einzigartigen psychologischen Schule.
Eine wesentliche Ursache dafür: Seit biblischen Zeiten sind unsere Modelle vom Menschen aus Werten zusammengesetzt, wie ein LEGO-Haus aus Lego-Bausteinen. Angefangen bei himmlischen und höllischen Heerscharen, der Erde als Schlachtfeld dazwischen, wir Menschen mit einer Erbsünde behaftet, Verhalten ist gut oder schlecht, Charaktermerkmale sind gut oder schlecht.
Aber jedes dieser Modelle stößt auf Widerstand.
Weil jedes mündige Individuum "gut" und "böse" nach seinen eigenen Maßstäben mißt und die Wertmaßstäbe anderer ablehnt.
Daß derjenige, der mit seinem Wertesystem am Widerstand gescheitert ist, ein neues versucht, das ist naheliegend. Aber auch das wird auf Widerstand stoßen.
Folgerung: Werte sind einfach ungeeignet als Inhalte eines Modells vom Menschen.
Aber üblich. Selbst die Personalabteilungen suchen nach Bewerbern mit bestimmten Charaktereigenschaften, und sie ahnen wohl, daß diese sehr von den Umständen abhängen.
Müßte sich Werner von Siemens den Umständen eines Großkonzerns anpassen, hätte er fast keine Chance, zur herausragenden Führungspersönlichkeit zu werden.
Ein Beispiel einer Folge der Untauglichkeit von Wertesystemen als Modell vom Menschen erleben wir an Niccoló Machiavelli. In seinem "Il Principe", "Der Fürst", beschrieb er die Menschen außerordentlich treffend. Schonungslos treffend.
Und wurde geächtet, manche Kritiker empfanden ihn als schlimmer als Pornographie. Wohl weil wir Menschen uns lieber als Ideal vorstellen und alles Böse auf unsere Gegner projizieren.
Sogar die Spiegel im Badezimmer sind grün gefärbt, weil wir uns derart verfälscht lieber
sehen.
Wo wäre das Qualitätswesen, wenn wir von der Schieblehre nicht das Ist ablesen, sondern das "sollte sein", und wenn unser Kunde anderes behauptet, dann liegt das an seiner Bösartigkeit?
Je tiefer die Aufklärung seit Descartes und Pascal diese Selbstgefälligkeit der Menschen überwindet, desto brauchbarer werden die Modelle vom Menschen, behaupte ich - und weise es auch gern nach.
: Meine Antwort hier drauf ist, dass man sehr genau unterscheiden muss, denn Werbung ist durchaus legitim.
Ja, aber unlauter ist, wer Versprechungen macht ohne geprüft zu haben, ob er sie auch einhalten kann.
: Das Problem hierbei ist wieder das der Inflation.
Besonders schlimm scheinen mir daran zu sein: Die Verzettelung und die Duldung von Widersprüchen.
Es bleibt "den Pädagogen" nichts anderes übrig, wenn schon die Grundlagenwissenschaft für sie versagt.
: Es gibt keinerlei "Qualitätssiegel" oder nötige Mindestvoraussetzung um ein "Weiterbildungsbüro" zu eröffnen.
Es hätte auch keine Legitimation außer der eines "Qualitätssiegel deutscher Roßtäuscher". Natürlich kann sich eine Gruppe zusammentun und irgendwelche Qualitätsmaßstäbe erfinden. Aber wie will man bei dem Tohuwabohu in der Grundlagenwissenschaft Psychologie denn glaubhaft machen, daß die einen Qualitätsmerkmale dem Kunden einen höheren Nutzen bringen als andere?
: ...Mammutjäger...
: Natürlich war das so. Heißt das aber auch, dass das besser war?
Wieder: Nach wessen Maßstäben?
Einerlei, wie der "best Practice" der Mammutjäger bei der Weitergabe ihrer Künste war, wenn es nach ihren eigenen Maßstäben besser gegangen wäre, hätten sie es versucht und wären dabei geblieben.
Deshalb war ihre Kunst die beste - aus ihrer Sicht. Möglicherweise von Clan zu Clan verschieden.
: Mit dieser Einstellung wird jede Verbesserung verhindert (Hamma aba imma scho so gmacht...) Menschen haben auch schon immer Kinder erzogen, haben diese auch immer schon geschlagen. Heißt das, diese Hobby-Pädagogen habens richtig gemacht?
Wieder: Nach wessen Maßstäben. Heute hat sich das nicht nur umgedreht, sondern Lehrer werden sogar abgestochen und erschossen. Nach welchen Maßstäben ist das besser? Schlagen und Erstechen ist beides schlecht.
: Wenn ein qualifizierter Pädagoge jetzt hergeht und sagt, er hat erstens Zahlen und Beweise, dass das der falsche Ansatz ist, und er hat auch eine fundierte Theorie, wie Erziehung "bessere" Kinder formen hilft, was passiert dann?
Es funktioniert nicht. Weil ("besser") hier wieder das Wertesystemdenken drin steckt. Ganz egal, welche Maßstäbe er anlegt für "besser", je weiter diese seine Kinder auf ihrem Weg zu ihrer Mündigkeit, desto eher werden sie dagegen protestieren und eher Gegenteil leben.
In der Kirche seit Moses hat die Erziehung so gut funktioniert, wie Kinder und Erwachsene vor der Hölle weit mehr Angst hatten als vor ihrem Priester / Lehrer.
: Meiner Meinung nach, wie im Betrieb, ist immer alles abhängig vom Ziel.
Klar, vom Unternehmensziel wie "Zukunft und Wachstum". Dem fühlt sich aber sehr entfernt, wer mault: "Was, Samstag schon wieder Weiterbildung? Wo ich die doch gar nicht brauche, nur unser Personalentwickler behauptet das."
: Wenn die Eltern sich einen angepassten, autoritätsgläubigen Nachwuchs wünschen, erreichen sie ihr Ziel besser mit Schlägen, ist klar.
Mir kommt gerade ein Gedanke. Kühn, aber ich behaupte mal: Wo immer der Satz zutrifft
"Wer es einem Vorgesetzten gleichtun will, beginnt mit den schlechten Eigenschaften." (Aus Japan)
da kann man seine Lehrlinge / Kinder / Schüler allenfalls ein Stück erziehen in Richtung Ebenbild des Erziehers. Jeder Anspruch, Lehrling / Kind / Schüler zu etwas anderem erziehen zu wollen, als der Erzieher vorlebt, scheitert an dessen Unglaubwürdigkeit.
Heißt: Wenn Eltern rauchen, wird es ihnen verdammt schwer fallen, ihre Kinder zum Nichtrauchertum zu erziehen. Das, vermute ich, geht eher andersherum: Wenn das Rauchen und seine schrecklichen Folgen quälend deutlich sind, dann werden viele Kinder aus Protest das Rauchen ablehnen.
:: Mammutjäger-Lehrling
: Wie ist das für Dich mit Führungskräften allgemein? Muss der Abteilungsleiter, z.B. IT selber PC zusammenbasteln können,
Naja, falls er mal wieder Samstag/Sonntag durcharbeitet für die Powerpoint-Präsentation am Montagmorgen und sein Rechner ausfällt, dann hat die besseren Chancen, wer ihn reparieren kann...

Wichtig ist, daß mein Chef nach seiner Forderung "bauen sie mir ein Perpetuum mobile", meine physikalisch untermauerten Einwände nicht abschmettert mit dem forschen "Probleme gibt's bei mir nicht!", sondern noch in der Lage ist, die Richtigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik zu erkennen.
Mitarbeiter lassen sich um so leichter führen, je eher sie überzeugt sind: "Unser Chef weiß, wovon er redet. Seine Entscheidungen sind manchmal zwar unangenehm, aber er weiß schon, was er tut."
(Und natürlich noch leichter, wenn sie meinen "Unser Chef führt uns dahin, wo wir selbst schon hinwollen", aber das ist ein anderes Thema.)
: oder ist es wichtiger, dass er seine Leute organisieren, motivieren kann?
Das ist kein Gegensatz, kein "entweder - oder" zwischen fachlichem Können und den Führungsfähigkeiten für eine bestimmte Gruppe Mitarbeiter in einer bestimmten Aufgabe. Der als "Bester" anerkannte, charismatisch führende Entwicklungsleiter kann als Leiter Vertrieb auf die Nase fallen.
Aber eines ist wohl allgemeingültig: Je höher die fachlichen Qualifikationen, desto leichter wird e die Fachleute dieser Richtung führen können.
(Wenn er nicht anfängt, selber kontruieren zu wollen, oder gar seine Fachmitarbeiter niederzumachen mit seinen besseren fachlichen Qualifikationen).
: In meinen Trainerkreisen ist es durchaus üblich, einen sicheren Erfolg durchblicken zu lassen...tolle Bilder...und wenn’s nachher nicht funktioniert, dann war halt der ominöse „Praxistransfer“ dran schuld."
: Wunderbares Beispiel. Da haben wir genau den Fall, den ich oben schon erwähnt hab. Mangelnde Zieldefinition. Was, bitte, ist Identifikation. Ab welchem Kennwert gilt das Ziel als erreicht? Wenn das defniert ist,...
Manche Ziele können noch so gut definiert sein und sind doch unerreichbar. Wie den Mitarbeitern eines notorisch unpünktlichen Chefs Pünktlichkeit beizubringen.
Zieldefinition ist eine notwendige Voraussetzung. Aber vor dem Angebot muß dann die Machbarkeitsuntersuchung kommen, die auch die Randbedingungen wie die notorische Unpünktlichkeit des Chefs berücksichtigt. Klugerweise werden ihn so nicht beleidigen, sondern den Kelch lieber an uns vorgehen lassen.
Unerfüllbare Aufträge anzunehmen, bringt wenig.
: Und erzähl mir jetzt nicht unter den Ingenieuren gibt es nur Idealisten und moralisch einwandfreie Berufstätige.
Doch, natürlich, nur! Wir sind die Edelsten..

)
: Natürlich gibt es sehr wohl verallgemeinerbare Grundsätze in der Pädagogik. z.B....
: - Ich höre und vergesse. Ich sehe und erinnere. Ich tue und verstehe. Konfuzius
Den habe ich gerade in meine Zitatensammlung übernommen.
: Die Leistung von Moses halte ich übrigens nicht für eine pädagogische, sondern für ein Mischung aus Marketing und Massenpsychologie.
Hihi, ja. Aber gibt es da einen prinzipiellen Unterschied?
: "Massenpsychologie des Faschismus" von W. Reich? Klasse)
Ja, früher mal gelesen. Könnte mal wieder fällig sein. Ansonsten habe ich schon vor dem 11. September eine Anleitung formuliert, wie man das Phänomen gezielt wieder erzeugen kann. Es ist erstaunlich simpel - wenn die Umstände passen.
Es ist so simpel, daß man sagen kann: "Wenn die Umstände passen und die Gesellschaft sich nicht wehrt, dann findet sich schon einer, der aus diesem Mißbrauch Gewinne zieht."
: Mit Affen und anderen Tieren und deren Erziehung kenn ich mich nicht aus, Pädagogik bezieht sich ausschließlich auf Menschen.
Tja, aber abgesehen vom wesentlich größeren Hirnvolumen sind die größten Unterschiede zwischen Affe und Mensch unsere Einbildung.
Hast Du das Buch "der Pferdeflüsterer" gelesen, das Original von Monty Robers? Da sind wesentliche Übereinstimmungen mit der Kunst, das Vertrauen von Seminarteilnehmern zu gewinnen.
: Die Praxis der Erziehung ist das, was von Dir so anschaulich mit Mammuts und Jägern und Priestern beschrieben wurde. Diese Praxis wurde meines Wissens tatsächlich das erste Mal abstrahiert zu einer allgemeinen Theorie der Erziehung bei den Griechen.
Ich stimme gern zu, daß Gedanken über das Lernen und Lehren können erst lange nach diesen Tätigkeiten selber entstanden sein. Erst mußte die Menschheit lernen, begrifflich zu sprechen und zu denken, dann erst konnte sie Gedanken über das Lehren ersinnen.
: Oder, um in Deinem Bild zu bleiben, meinst Du die Jäger sind abends ums Feuer gesessen, und haben sich unterhalten, wie es zu bewerkstelligen sei, aus dem Nachwuchs tapfere Krieger, gute Jäger usw. zu machen? Die waren wahrscheinlich mit was anderem beschäftigt.
Gewiß.
: Deshalb: die Praxis gabs immer schon, die Theorie kann nur durch Beobachtung und Systematisierung der Praxis erfolgen.
Ja, falls "Systematisierung" das Verfahren der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung nach Wilhelm von Ockham einschließt.
: "Hohe Bildung kann man dadurch beweisen, daß man die kompliziertesten Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht." (George Bernhard Shaw)
: Das sind so die Rettungsanker für verzweifelte Pädagogen, wenn andauernd die Daseinsberechtigung ihrer Disziplin angezweifelt wird.
Ja, und hihi: "Hohe Einbildung kann man beweisen durch das Beharren an gefälligen, aber unzweckmäßigen Vorstellungen bei Ignoranz naturwissenschaftlich untermauerter Fakten."
Die Verzweiflung des Pädagogen muß nicht sein.
Da mach ich eine eigene Antwort draus.
Ciao
Wolfgang