allo zurück, Auditeuse anonyme,
"...Verfahrensweise für unsere betrieblichen Vollmachten entwerfen...es nun etwas unübersichtlich geworden ist...Tu mich da etwas schwer..."
Kein Wunder. In dieser Problematik sind Sie auch nicht alleine, aber offenslichtlich besonders wach.
Vermutung:
1. Ihr Auftraggeber hat erkannt, nach dem Schaffen einer ordentlichen Struktur der Prozesse (Prozeßorientierung) liegen die größten Kostentreiber nun in "Knirschstellen" der Struktur der Verantwortungen und Befugnisse, und deshalb müsse er den Schwerpunkt nun hier setzen?
2. Nach ersten Ansätzen verstrickte er sein Denken und deshalb hat er Sie gefragt.
Folgende Symptome unterstelle ich mal: "Ich habe mit meinem Chef das Ziel A vereinbart", sagt Person B zu Person C, aber eine dafür notwendige Befugnis fehlt mir, die haben sie, und ihnen sind andere Ziele wichtiger! Gehen wir vor den Saloon und schießen aus, wer übrig bleibt, hat recht und alle Befugnisse des anderen?"
Prognose: Ihre Frage ist ein Frühzeichen für das Ende der Modewelle "Prozeßorientierung" und für die Rückbesinnung auf die Bedeutung der Beachtung von Verantwortungen und Befugnissen.
Und Sie sind bei der Richtigstellung dieses Kurses vorne dran!!
Mein "Wagemut" zu diesen Vermutungen und Prognosen kommt aus dem Prozeßmodell der Team- und Unternehmenskultur. Wie Kultur funktioniert, wie mehrere Individuen ein soziales System bilden, gemeinsame Meinungen bilden, sich gemeinsame Regeln geben, und wie sie handeln, wenn sie ihr soziales System komplizierter gestaltet haben, als ein Intellekt es begreifen könnte.
"Ein ordentliches System der Verantwortungen und Befugnisse" - grundsätzlich geht das.
Aber zwei unvereinbare Strukturen zugleich - das geht natürlich nicht.
Für diese Strukturen gilt: "Nur eine darf die wichtigste sein!". Diese muß die andere dominieren, die sekundäre Struktur muß an die primäre angepaßt sein.
Ihre erste besondere Problematik:
a) Sie haben eine recht intakte Struktur der Prozesse geschaffen. Sie werden diese etwa so wichtig gehalten haben, wie es zur modernen Vorstellung von Prozeßorientierung gehört - und vielleicht auch gemäß den Forderungen von Großkunden.
b) Sie sollen die Ergänzung um eine intakte Struktur der Verantwortungen und Befugnisse vorschlagen.
c) Aber diese Ergänzung bedeutet in Wirklichkeit: Sie müssen eine Struktur der Verantwortungen schaffen, die wichtiger ist als die Struktur der Prozesse - aber die Prozesse stehen schon und sind mit Kunden vereinbart.
Die zweite besondere Problematik: Die Struktur der Verantwortungen kann nicht statisch sein, die Verantwortlichen müssen sie selbst weiter entwickeln - aber nicht chaotisch, sondern in Kenntnis der wirkenden Zusammenhänge - und mit dem Vertrauen der Mitarbeiter, sie hätten alle Kompetenzen dazu.
Folgerung daraus: Soll schon die erste Struktur der "Vollmachten", der Verantwortungen und Befugnisse, weiterentwickelbar sein, darf sie nicht vorgegeben werden, sondern muß im Miteinander entstehen. Im Miteinander, in dem die beteiligten Verantwortlichen die "Funktionsweise" zwischen den Strukturen und Produktivität ähnlich gut kennen wie ein Elektroingenieur die Funktionsweise eines Elektromotors versteht und beherrscht, wie die Anordnung von Stator, Läufer, Polen, Wicklungen und Spannung Drehzahl, Drehmoment, abgegebene Wirkleistung und Blindleistung beeinflußt.
Angenommen, wir gehen die Sache gemeinsam an. Du mit Deinen Kenntnissen von Qualität und QMS, ich mit meinen Kenntnissen, wie soziale Systeme funktionieren.
Dann wäre mein Programmvorschlag:
1. Dem Auftraggeber bestätigen, sein Gespür sei richtig.
2. Bisher rätselhafte Arbeitshindernisse und Kostentreiber untersuchen und zurückführen auf die hier erkannte Problematik. Nicht nur behaupten, das könnte jeder, sondern glaubhaft aufzeigen, wie die Fehlerstellen in der vernachlässigten Struktur die Zusammenarbeit behindern.
3. Die Ursachen der drei schlimmsten Arbeitshindernisse ausräumen und damit beweisen, wie dieser Ansatz funktioniert und was man damit bewirken kann.
4. Sie und die Verantwortlichen über die Wirkungsweisen beider Strukturen informieren, damit Sie und sie beide beherrschen können.
5. Im Verlaufe dieser Schritte wird dann schon klar werden, welcher weitere Weg der Beste ist - ob die Verantwortlichen sich das Wagnis "zum großen Wurf" zutrauen oder lieber evolutionär und sicherer in ihrem Verantwortungsbereich das jeweils größte Arbeitshindernis ausräumen.
So weit mein Vorschlag in dieser Runde.
Holen Sie weiteren Rat ein und weitere Vorschläge, damit Sie vergleichen können - denn den besten Vorschlag erkennt man erst im Vergleich mit dem zweitbesten.
Ciao
Wolfgang Horn