Hi, Florian,
"Ist es nicht gerade das Problem, dass die kausalen Zusammenhänge bei vielen Dingen nicht so einfach herzustellen sind.."
Ich nehme Dich hier wörtlich: Die kausalen Zusammenhänge wie "Anstellwinkel Höhenruder - Flughöhe" oder "Einstellung Chef zu seinen Mitarbeitern - Produktivität" existieren.
Und zwar unabhängig vom Typ des Flugzeugs oder anderen Einstellungen des Chefs.
Diese kausalen Zusammenhänge brauchen also nicht "hergestellt" zu werden.
Weitere Ruder am Flugzeug haben weitere Einflüsse, wie auch weitere Einstellungen des Chefs.
Und hier liegt die Schwierigkeit im analytischen Denken: Man muß bei einer lahmen, aber fliegenden Flugzeugkonstruktion erst die 3 1/3 Tragflächen erkennen und den Haufen Ruder, die geplant oder ungeplant auf den Anstellwinkel der Tragflächen Einfluß nehmen. Erst dann haben wir Aussicht, prognostizieren zu können, wie eine Änderung an der Konstruktion sich auswirken wird.
Ein Flugzeug, das ohne aerodynamische Kenntnisse gebaut wurde, könnte durchaus einem Rasenmäher mit Ofenrohr ähneln... Und wenn es lahm fliegt und der Pilot es für optimal hält...
Solange uns das Flugzeug als Ganzes noch ein Rätsel ist, halten wir besser die Finger davon fern. Denn dann droht Verschlimmbesserung der tödlichen Art.
Ist das etwa das, was Du ahnst und meinst?
In der VDI-Arbeitsgruppe in Stuttgart hat sich gezeigt: Die Schwierigkeit ist nicht das Erkennen der kausalen Wechselwirkungen in einer Gesellschaft wie einer Abteilung.
Sondern die Überwindung der Vorurteile, die uns seit dem Kindergarten über das Wesen der Menschen eingebläut wurden - und die so falsch sind, wie gerade die Humanisten einem Menschenbild frönen, das eher "schön" ist als realistisch.
Hätten wir Ingenieure ein ähnlich ideales Bild von einem Antriebsstrang im Auto, dann hätte der keine böse Reibung - und die Tragfläche keinen Auftriebsbeiwert.
Wir aber wissen, daß man nur mit realistischen Modellen Aussicht hat, Maschinen zu konstruieren, die auch am Ende der Garantiezeit noch funktionieren.
Pädagogen, so gut sie es auch meinen mögen, aber kennen nicht mal die Garantie im Bildungswesen, sondern rätseln noch immer über solche Phänomene wie "Praxistransfer".
"Wenn ich das Führungsverhalten verändere, kann es doch einige Zeit dauern bis ich Erfolge sehen werden."
Kann schon. Muß aber nicht. Erhebliches Trägheitsmoment sind die Erfahrungen der Mitarbeiter und Kollegen. Wer als Wolf verschrieen ist und sich nun menschlich benimmt, dem unterstellen die anderen, er habe nur Kreide gefressen und ab morgen sei er wieder der Alte.
Ein Gegenbeispiel ist die Wandlung des Saulus zum Paulus. Ein weiteres der Wandel des Bauernmädchens zur Jeanne d'Arc.
Schneller Wandel geht schon - manchmal, weil die Randbedingungen zufällig paßten, aber auch, weil jemand mit Gespür oder Verstand sie aktiv geschaffen hat.
Dies war eben wieder ein Beispiel, wo sich für sowohl für die These als auch für die Antithese Beispiele finden lassen. Die als Beobachtungen für sich richtig sind, aber die üblichen Schlußfolgerungen sind eben nicht analytisch oder falsch analytisch.
"...welche Menge ist genug oder zuviel."
Wer analytisch denkt, der sieht auch die Grenzen seiner Kunst - und fürchtet sich vor Überforderungen.
"Was bedeutet für Dich Philosophie.."
O je, ich möchte vermeiden, als Philosoph abgestempelt zu werden.
Philosophie begreife ich als das, was Aristoteles meinte mit seiner "Lehre vom richtigen Denken".
Die Mathematik ist als Lehre vom richtigen Rechnen dem "Schätzen nach Gefühl" deutlich überlegen. So ist auch die Lehre vom richtigen Denken überlegen gegenüber dem "gesunden Menschenverstand".
(Wobei im Auto das "Schalten nach Gefühl" effizienter ist, als wenn einer erst zum Drehmomentdiagramm und zum Rechner greift und den optimalen Schaltpunkt auf Null Komma 3 Umdrehungen/minute genau berechnen will.)
"Unterschied machst Du zwischen dem Ausdruck Paradigma und dem Wort Philosophie?"
So ähnlich wie zwischen "Bube" und "Skatspiel".
Man hört beide Begriffe oft zusammen.
Den Begriff "Paradigma" halte ich für überflüssig. Was mit ihm ausgesagt werden soll, das läßt sich auch mit dem Begriff "Prinzip" aussagen. Prinzipien sind für mich eine Vorstufe der analytischen Erkenntnis von Wirkungen und Wechselwirkungen.
In den Naturwissenschaften kennen wir Prinzipien, die in Wahrheit Naturgesetze sind. Beispiel: Actio = Reactio, Kraft ist gleich Gegenkraft.
Kein Pragraph eines unsichtbaren Naturgesetzbuches, das jedes Elektron mit sich führen muß, um sich wie vorgeschrieben zu verhalten.
Sondern wir Menschen haben unsere Beobachtungen korreliert und gruppiert. Galileo Galilei hat seine Rollversuche mit Kugenl auf dem schiefen Brett gemacht und das Gravitationsgesetz gefunden. Mit der Kenntnis dieses Gesetzes und einiger anderer können wir heute zu den Planeten fliegen, aber wissen bis heute nicht, wie Gravitation eigentlich funktioniert.
Deine Paradigmen ordne ich als "Prinzipien für den Umgang untereinander" ein. Durchaus richtig, aber wenn einer zweifelt, wird Dir schwer fallen, ihm zu erklären, warum Dein Paradigma richtiger ist als sein Gegenteil.
"Wie könnten wir erreichen, dass unsere Diskussionen vermehrt auf einer sauberen Theorie (Erkenntnis baut auf Erkentsnis auf) und nicht immer auf überlieferten Erfahrungen beruht?"
Das gelingt mir im VDI. In einer Arbeitsgruppe von Interessierten, die eben nicht in der Arbeit sind, eben nicht in der Firma, die daher keine Angst haben müssen, ihr Gesicht zu verlieren. (Das meist ja doch nur eine Maske ist, die wir mühsam aufrecht erhalten. Und so groß diese Mühe, so ungern gestehen wir uns ein, daß die Maske abnehmbare Maske ist und keine Gesichtshaut.)
"...Sie reden nach was sie einmal gehört haben und irgendwie durch Erfahrungen bestätigt wurde."
Tja, besser als das Gegenteil, besser als gar nix. Und wer bisher die Kunst verstand, der besten Meinung zuzustimmen, der kann auch das in Zukunft.
Allerdings ist der analytische Blick auf das Verhalten von Menschen eben nicht gefällig.
Die Spiegel in unseren Badezimmern sind grün gefärbt, weil wir Menschen keine Spiegel kaufen, die uns so zeigen, wie wir wirklich aussehen.
Im analytischen Blick auf Menschen sehen wir auch uns selbst. Wir wären aber gerne stark, edelmütig und gut. Wir alle, naja, fast wir alle, haben ein Wunschbild von uns selbst zum Ist erklärt.
Das zu erkennen - und sich mit dem Ist abzufinden - und dann auch noch das Beste draus zu machen - da liegen die Schwierigkeiten!
Möglicherweise müßte ich den Till Eulenspiegel wieder auferstehen lassen, er hat auf seine Art sehr viel bewirkt.
"...Die Geschichte vom Hahn....verschlafen..die Sonne war bereits ... zu sehen. Der Hahn...hat gelernt, dass seine Theorie falsch war.."
Nee. Aber jetzt ist mir klar, warum sich Hähne so erbittert bekämpfen. Im Chor zaubern sie die Sonne an den Morgenhimmel, aber jeder Hahn hat seine eigene Meinung vom optimalen Zeitpunkt des Sonnenaufgangs - und haßt seine Kollegen, weil die andere Zeiten bevorzugen...
Zurück zum Ersten. Ich meine damit: Wer eine Theorie lieben gelernt hat und auf Gegenbeispiele stößt, der hat mehrere Alternativen der Reaktion. Unter anderem hat die Kirche Giordano Bruno als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt, um sich mit seinen Wahrheiten nicht mehr auseinandersetzen zu müssen.
"Wer die aktuelle Theorie zum Sonnensystems kennt, macht mit grösster Wahrscheinlichkeit auch andere Erfahrungen als unser Hahn."
Präzise: Die Erfahrungen müssen dieselben sein. Unterschiedlich sind die Interpretationen.
"Warum lernen die Manager nichts daraus, dass die Sonne auch ohne sie aufgeht?"
Sie sind die Sonne.

Im Ernst. In einem Team muß einer das letzte Wort sprechen und für seine Einlösung stehen.
Wenn die Kunden ihre Vorlieben ändern, dann muß das Team im Lieferanten sich anpassen. Das tut weh wie Milchzahnschmerzen. Da muß auch mal einer den Zahn ziehen.
Eine Gesellschaft ohne Führungskräfte ist weniger effizient. Eine, deren Führungskräfte nach veralteten Karten navigieren, naja, die könnte sich zumindest verbessern.
In Fragen zum Verhalten von Personen ist die Fragestellung "Wozu?" überlegen gegenüber der Fragestellung "Warum?".
Denn auf die Frage "Warum?" kriegen wir soviele Antworten, wie die Phantasie reich ist.
Die Frage "Wozu?" aber ergründet die Absichten einer Person und ihre Entscheidungsgrundlagen. Und je mehr Absichten einer phantasiert, desto weniger glaubwürdiger ist er.
Meine ergiebigste Antwort auf die Frage "Wozu?" in dieser Sache ist der _1 Karriereknickgesetz: "Keinem Mitarbeiter ist erlaubt, auf Dauer deutlich besser zu führen als sein Vorgesetzter. Zuwiderhandlungen werden mit Karriereknick bestraft. Nur in Ausnahmefällen der nach oben."
Sobald Du im Unternehmen eingebunden bist, mußt Du Dich an die Gesetze und Regeln der Unternehmenskultur halten. Oder Dir droht das Schicksal des Giordano Bruno.
Da ist es leichter, sich so zu verhalten wie die SS-Wärter im KZ Treblinka (Barbara mag vielleicht lieber die Grenztruppen der NVA nehmen, die in einer durchaus ähnlichen Situation steckten): Sie rationalisieren, sie drehen und wenden die böse Situation, bis sie einen Blickwinkel gefunden haben, in dem sie selbst einigermaßen "gut" aussehen.
Ein gewaltiges Trägheitsmoment gegen Veränderungen.
"Danke für den vertieften Meinungsaustausch."
Gern geschehen, wurde mir dabei über ein, zwei Dinge auch selbst klarer.
Aber was machst Du jetzt draus?
Ciao
Wolfgang