Hallo zurück, Dagmar, und herzlich willkommen im Forum,
: mein Chef hat mich als Multiplikator eingesetzt.
Leider ist der Begriff zu vieldeutig, um guten Gewissens antworten zu können.
In deutlichem Gegensatz zu meinem Vorredner Karl bin ich ganz und gar nicht der Meinung, Du solltest den Job zurückgeben bis...
Sondern: Was man hat, das hat man erst mal. Und jetzt macht man das beste draus.
Erstens: Dein Chef hat Dir einen Titel gegeben. Ein Zeichen für Vertrauen. (Aber auch wach sein, es ist nicht unmöglich, daß ein Chef unseren Hals für besonders passend findet für die Sündenbockschlinge.)
Zweitens: Ein Problem, daß Dein Chef Dir zwar einen Titel gegeben hat, aber keine Anleitung zum Handeln dazu? Daß Du natürlich andere gefragt hast, aber die wußten auch nicht? Kein Problem. Sondern Chance, das Beste draus zu machen, den Titel mit einem Tun zu füllen, und dabei darauf achten, daß weitere "Ausbaustufen" dieses Tuns die Ernennung zur Geschäftsführerin nahelegen.
(So erlebe ich gerade ehrfurchtsvoll staunend von einer, die sich eine Aufgabe zuzog, vor der andere geflüchtet waren: Wissensmanagement. Und schon hatte sie nicht nur Titel, sondern auch Budget. "Wissensmanagement" ist die Reinkarnation des Perpetuum mobile, es kann nicht so funktionieren, wie ein Theoretiker vielleicht denkt, wenn er wichtige Faktoren außer Betracht läßt. Aber sie hat unter diesen Begriff als Tarnbegriff benutzt, um mit sich und ihrem kleinen Budget all das zu machen, was wohl jeder wollte und brauchte, aber nicht tun wollte.
Sie hat das "Wissensmanagement" zum "general Management" gemacht, alle haben geklatscht, keinen hat ihren Schwindel krumm genommen, und plötzlich meldete sie sich mit neuer Email-Adresse von einer Firma, die sie abgeworben hatte.
Deshalb liebe ich solche Aufgaben.)
Habe ich ein bißchen Mut gemacht?
Dann geht's weiter.
Ihr Chef muß einen Anlaß gehabt haben und einen Bedarf weiterhin haben. Ganz egal, und wenn Ihr Titel "kritzelprumpf" lautet, wenn dieser Bedarf in die Nähe des Titels fällt - und zu Ihrem Karrierepfad paßt -, dann decken Sie diesen Bedarf.
So gut Sie können nach Befragung und Beratung aller, die Ahnung haben könnten.
Und so real der Bedarf, und so gekonnt Sie ihn decken, so groß der Beifall für Sie.
Achtung: Stürmen Sie nicht einfach los, überlassen Sie das den blauäugigen Machos.
Sobald Sie eine Ahnung haben, was notwendig ist, benutzen Sie die Konstruktion von Lastenheft/Pflichtenheft.
Und zwar als Schutz für Ihren Hals gegen die Sündenbockschlinge.
Aber keine 1000 Seiten, sondern 1/2 Seite muß für Lastenheft genügen, für das Pflichtenheft sicher etwas mehr.
Ihr Lastenheft enthält das, was Ihr Chef Ihnen mit auf den Weg gegeben hat. Seinen Wunsch.
Der mehr oder weniger realistisch ist.
Besonders gefährlich sind die träumerischen Inhalte. Denn irgendwann platzen Illusionen, und wenn das erst kurz vor Zieltermin ist, ist das höchst peinlich für alle - und der Sündenbock bekommt alles übergebraten. Wahrscheinlich Sie.
Je eher die Träumer auf den Boden der Realität geholt werden, desto harmloser dies Platzen der Illusionen.
Erkundigen Sie sich bei Ihrem Chef, ob Ihre Vorstellung von Bedarf und Aufgabe das ist, was er gemeint hat.
Und wenn ja, dann planen Sie die Erfüllung.
Und denken Sie besonders an die Schwierigkeiten.
Erklären Sie Ihrem Chef die Schwierigkeiten - und wie Sie die bewältigen wollen. Und was Sie dazu von ihm benötigen.
Welcher Art könnte der Bedarf sein, für den Sie Multiplikatorin sind?
Vermutlich nicht weit von dem Standard-Hauptproblem im QM: Wie sorgen wir dafür, daß sich die Mitarbeiter gern so verhalten wie geplant?
Im Handwerk war die Sache klar und kein Problem: Der Meister macht's vor, und Gesellen und Lehrlinge machen's nach.
Geht aber nur mit Prozessen, die wirklich machbar sind.
Und nur dann, wenn der Meister nicht nur so heißt, sondern wirklich ein Meister seines Handwerks ist.
So mancher Manager von heute kann oder will nicht vormachen, was seine Mitarbeiter als selbstverständlich und gern tun sollen.
Also hat man jahrzehntelang Trainer mißbraucht. Sie sollten den Mitarbeitern beibringen, gern zu tun, was ihr Chef nicht tun will oder kann.
Leider klappt das nicht, wo gilt "Wer es einem Vorgesetzten gleichtun will, beginnt mit den schlechten Eigenschaften." (Aus Japan)
Wenn sich der Chef drückt, wird er eben zum Vorbild für Drückerei.
Die Fachleute rätselten dann über "mangelnden Praxistransfer", weil die Leute aus den Seminaren herrliche Zeugnisse mitbrachten, aber am Arbeitsplatz schienen sie alles vergessen zu haben.
Liegt zwar meistens am Chef, aber dem Trainer wurde es angelastet.
Da können die Trainer Zauberkunststücke aus dem Hut ziehen oder was auch immer, die dominierende Rolle des vorbildscheuen Chefs können sie nicht ausgleichen.
Auf diese Art und Weise sind Trainer in Verruf geraten und es heißt "das machen wir mit unseren eigenen Leuten".
Kann durchaus funktionieren.
Der Austausch des Trainers gegen einen "Multiplikator aus den eigenen Reihen" ändert aber nichts an den Randbedingungen für erfolgreiches Lehren oder "multiplizieren" - daß der Chef der Mitarbieter Vorbild ist.
Wenn meine Phantasie aufgrund Ihrer knappen Worte richtig gesponnen hat, dann liegt in diesen Zusammenhängen die höchste Hürde und das wohl größte Risiko für Sie.
Aber die Hürde genau erkennenn und nehmen, da würde ich Ihnen gern helfen, das erforder weit mehr, als die Technik dieses Forums zuläßt.
Trotzdem - toi, toi, toi.
Ciao
Wolfgang Horn